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Die Handschrift des großen Bruders 

Die Handschrift des großen Bruders  Warum Asien den Kosovo-Krieg ganz anders interpretiert
Aus: Süddeutsche Zeitung(Feuilleton) 18.05.99, S. 17 (1999年5月18日南ドイツ新聞学芸欄)

18.05.99
Feuilleton

Die Handschrift des großen Bruders

Warum Asien den Kosovo-Krieg ganz anders interpretiert / Von Tan Minoguchi

Die Nato-Staaten führen einen “postnationalen Krieg”, eine “Fortsetzung der Moral mit anderen Mitteln” (Ulrich Beck). Bevor ein Krieg so patentiert wird, stellt sich die Frage, ob er wirklich so neu ist. Denn viele Menschen, in Asien und anderswo, nehmen eine deutliche amerikanische Handschrift des Bombardements wahr und schütteln den Kopf. Meint man mit “neuartig”, daß die EU-Staaten aus Überzeugung einen amerikanischen Krieg mitmachen, dann ist das tatsächlich etwas Neues. Eine amerikanische Limousine, in der hinter dem amerikanischen Fahrer Europäer sitzen, ist noch kein europäisches Auto.

Der postnationale Krieg, der mit dem Nato-Luftangriff begonnen hat, ist ein amerikanischer Krieg, nicht, weil die US-Soldaten die erste Geige spielen, sondern wegen des Weltbilds, das ihm zugrunde liegt. Die Interventionskriege, die die Amerikaner im 20. Jahrhundert geführt haben, waren immer moralisierende und moralisierte Kriege. So gesehen war ein amerikanischer Krieg immer eine Fortsetzung der Moral mit anderen Mitteln. Der Typus des amerikanischen Kriegs begann, als Präsident Wilson 1917 in den Ersten Weltkrieg gegen Deutschland eingriff, mit der Begründung: “Der gegenwärtige deutsche U-Boot-Krieg gegen Welthandel ist ein Krieg gegen die Menschheit.” Dieses Muster hat sich kurz vor der Jahrtausendwende wiederholt, da sich auch die Nato-Staaten auf einen höheren Begriff, auf Europa nämlich, berufen, um ihren Verzicht auf den vermittelnden neutralen Status und ihren humanitären Eingriff zu rechtfertigen.

Wenn die “Menschheit” auf die Kriegsfahne geschrieben wird, wandelt sich die Erdkugel in einen Weltstaat, in dem nationale Staatenkriege keinen Platz mehr haben, denn Frieden bedeutet nach dieser Logik des amerikanischen Krieges einen Zustand, in dem kein Unrecht begangen wird. Folglich ist der Interventionskrieg kein Krieg mehr, sondern ein Versuch, das Recht durchzusetzen und die Ordnung wieder herzustellen, eine polizeiliche Aktion.

Deshalb ist ein Pazifismus, der auf der klassischen Dichotomie Krieg vs. Frieden beruht, in Not geraten, indem aus einem Krieg die internationale Bekämpfung einer staatlich organisierten Kriminalität geworden ist. Die Nato-Staaten führen keinen Krieg. Die jugoslawische Republik hingegen führt einen Krieg. Dieses merkwürdige asymmetrische Verhältnis zwischen militärisch streitenden Parteien ist in der Struktur dieser kriminalistischen Kriegsanschauung angelegt. Auf dieses asymmetrische Verhältnis zwischen streitenden Parteien lassen sich die Diskussionen über den Kriegsbegriff zurückführen.

Asoziales Verhalten

Daß die Diplomatie ein ähnliches Schicksal wie das Wort “Krieg” nimmt, versteht sich. Die Polizei läßt sich auf keine Verhandlung mit einem Kriminellen ein, sondern verlangt von ihm, keinen unnötigen Widerstand zu leisten. Deswegen ist eine diplomatische Kriegsbeendigung erschwert, nicht nur, weil eine völlige Unterwerfung angestrebt wird, sondern auch, weil dem kriminalistischen Konstrukt des Krieges entsprechend ein Resozialisierungsprogramm (Besetzung des Landes und Umerziehung) gefordert wird wie neulich von Daniel Goldhagen. In dem Weltbild, das dem amerikanischen Krieg zugrunde liegt, hat der Gedanke der Neutralität keine Existenzberechtigung. Nach der Logik des Weltpolizisten bedeutet die Neutralität ein asoziales Verhalten, weil alle anderen Staaten bei einer Verbrechensbekämpfung mitmachen, während der neutrale Staat nichts tut. Was für einen Krieg führen dann die Amerikaner? Sie führen einen postnationalen Krieg, bekämpfen also internationale Kriminalität. Gleichzeitig führen sie einen normalen Staatenkrieg. Nach europäischem Verständnis hat man mit dem Bombardement auf Jugoslawien angefangen, um bei einer Verhandlung seiner Forderung Gewicht zu verleihen, so, als haute man auf den Tisch. Nun sitzen Europäer in einem amerikanischen Taxi und stellen fest, daß der Fahrer gar nicht ihre Sprache versteht.

Für viele Asiaten hat es leider Tradition, reflexartig alles zu kritisieren, was die Amerikaner (beziehungsweise der Westen) tun. Trotzdem kann ich ihre Kritik am Nato-Bombardement speziell und an der Balkan-Politik des Westens generell nicht ignorieren. Der Westen hat bisher nur Sezessionisten unterstützt und eine historisch gewachsene staatliche Struktur geschwächt oder zerstört. Das wiederholt sich wahrscheinlich ein weiteres Mal. Der Traum von einem multikulturellen Kosovo rückt in immer weitere Ferne. Das Ergebnis ist bedrohlich, weil immer mehr Staaten entstehen. Manche befürchten sogar, daß das Bombardement zum Fanal für weltweite Sezessionsbewegungen wird.

Es ist keine beneidenswerte Aufgabe, zwischen extrem national denkenden Streitparteien wie denen auf dem Balkan zu vermitteln. Dabei könnte es für postnationale EU-Staaten nützlicher sein, sich in die Lage national oder nationalistisch denkender Menschen zu versetzen, als nach dem postnationalen Prinzip einer internationalen Verbrechensbekämpfung vorzugehen. Warum hätte der Westen die zwei Rollen nicht spielen können: als Wahrer der staatlichen Struktur und als Schützer der Menschenrechte? Warum hätte man fast bis zum Ende nicht neutral bleiben können, statt für eine schwächere ethnische Gruppe Partei zu ergreifen? Wahrscheinlich aus dem einfachen Grund, daß eine stärkere Gruppe mehr verbricht als eine schwächere. (Als Vater zweier Kinder gehe ich, wenn meine Kinder miteinander streiten und ich keine Zeit habe, so vor: Ich schimpfe den älteren Sohn.)

Der Balkan-Code

Hier hat sich eine moralisierende, emotionalisierende Tendenz im politischen Denken zuerst langsam, dann mit beschleunigtem Tempo durchgesetzt. Sie mündet in die Logik des Weltpolizisten, die aus einem Krieg eine internationale Verbrechensbekämpfung macht. Im postmodernen Europa hat man, wenn auf dem Balkan Blut fließt, nur noch einige Begriffe zur Verfügung: “ethnische Säuberung”, “Völkermord” und so weiter, die sich unter dem Oberbegriff “Verbrechen” subsumieren lassen. Reicht dieser begrenzte Wortschatz aus, um die Realität wahrzunehmen?

In den Augen der Menschen, für die verschiedene Kriege etwas bedeuten, herrschte und herrscht im Kosovo ein Sezessionskrieg, der ein Guerillakrieg war und ist. Das waren grausame Übergriffe auf Zivilisten und Flucht dieser Zivilisten vor Übergriffen. Das Massaker in Racak im vergangenen Januar war zwar ein trauriges Ereignis, ist aber im Rahmen solcher Guerillakriege noch verstehbar, weil diesem Fall und anderen ähnlichen immer heftige Guerilla-Kämpfe vorausgegangen waren. Kann man ein Ereignis einfach aus seinem Umfeld herausreißen, als passierte es in einer westeuropäischen Großstadt? Meines Wissens sträubt sich die europäische, der Vielfalt verpflichtete Denktradition gegen solche Simplifizierungen.

Vielleicht kann man mit Umberto Eco von einem Wahrnehmungscode sprechen. Häufig kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, daß sich im Bewußtsein vieler Menschen ein merkwürdiger Balkan-Code etabliert hat, nach dem alle Informationen so selektiert, verdrängt und verarbeitet werden, daß am Ende nur noch die zwei Zustände unterschieden werden: Auf dem Balkan wird etwas verbrochen oder nicht verbrochen. Wenn wir einen solchen Balkan-Wahrnehmungscode unterstellen, wird es verständlich, warum Politiker Photos zeigen, in denen tote albanische Dorfbewohner neben toten UCK-Soldaten liegen; dies in dem festen Glauben, bewiesen zu haben, daß der Völkermord von den Serben lange vor dem Luftangriff kaltblütig praktiziert worden sei. Solche Photos zeigen aber nur, daß es sich um normale Szenen aus einem Guerillakrieg handelt. Nach dem Balkan-Code wird der im letzten Herbst erzielte Waffenstillstand als ein Zustand entziffert, in dem nur weniger Verbrechen begangen wurden. Daraus folgt, daß dieser Zustand als nicht erhaltenswert betrachtet wird.

Für diejenigen, die diesen Balkan-Wahrnehmungscode nicht verinnerlicht haben, sieht die Bewertung desselben Zustandes im Kosovo anders aus. Der Waffenstillstand war zwar brüchig, weil Guerilla-Kämpfe stattfanden, die häufig von UCK-Freischärlern ausgelöst wurden und mit einem Vergeltungsschlag der Serben endeten. Aber die Kämpfe waren sporadisch. Manchmal war in den Agenturen von einer Rückkehr der damaligen Flüchtlinge in ihre Heimatdörfer die Rede. So antwortete auf die Frage eines japanischen Journalisten, ob die Massenvertreibung der Kosovo-Albaner durch das Bombardement ausgelöst oder von der jugoslawischen Seite lange geplant worden sei, die UNHCR-Hochkommissarin Sadko Ogata: “Ich glaube, daß eher der Rückzug der OSZE-Beobachter als das Bombardement ein großer Wirkungsfaktor war”. Aus dieser diplomatischen Antwort läßt sich folgern, daß diese unbewaffneten Beobachter zur Beruhigung der Lage ihren bescheidenen Beitrag geleistet haben. Dafür sprechen auch frühere Aussagen seitens der OSZE. Wer den Balkan-Code nicht teilt, für den war der Zustand im Kosovo vor dem Nato-Luftangriff verbesserungsbedürftig, ein bescheidenes, aber positives Ergebnis.

Aus dieser Sicht liegt die Entscheidung, mitten in Europa einen amerikanischen Krieg zu beginnen, statt aus diesem kleinen Erfolg etwas zu machen, jenseits jeglicher Rationalität. Der Nato-Luftangriff war in den Augen der national denkenden Serben die einseitige Parteinahme für die Kosovarer, die sie immer verdächtigt und gefürchtet haben. Das schürt ihren Haß gegen die Albaner. Deshalb führen sie ihren totalen Krieg gegen die Albaner und die Nato, die nach ihrer Meinung Verbündete sind. Es ist wirklich nicht nachvollziehbar, daß der Westen ausgerechnet zusammen mit “falschen Helden” (Rugova über die UCK) den selbst mühsam verhandelten Waffenstillstand gebrochen hat. Auf diese Weise schwächt man schon wieder eine staatliche Struktur (die Jugoslawiens) und wendet sich von dem selbst gesetzten Ziel (einem multinationalen Kosovo) ab.

Eine Erinnerung wird geweckt

Ist diese Kritik antiwestlich? Meiner Meinung nach geht es darum, ob man den Balkan-Code besitzt oder nicht. Dann stellt sich die Frage, was für einen Code Asiaten überhaupt haben, durch den die Realität auf dem Balkan wahrgenommen wird. Es fällt mir, offen gestanden, nicht leicht, darauf eine Antwort zu geben. Soweit ich sehe, steht in der japanischen Berichterstattung das Schicksal apolitischer kleiner Leute im Mittelpunkt. Ihre kleinen Leute sind Kosovo-Albaner, die zwar mit der politischen Unterdrückung nicht einverstanden waren, aber Angst hatten, bis zum Beginn des Luftangriffs in den Guerilla-Krieg verwickelt zu werden, und dann tatsächlich in einen Krieg neuer Qualität verwickelt worden sind. Von diesem Standpunkt aus ist der humanitäre Eingriff der Nato nicht nur “eine Verlogenheit, sondern grenzt auch an Fahrlässigkeit” (so schrieb mir ein japanischer Philosoph).

In diesem Punkt reißt bestimmt bei vielen Asiaten die alte Wunde auf. Dann erwacht ihre Erinnerung an die amerikanische Theorie, nach der asiatische Völker sogenannte Domino-Steine sind, aus denen durch das jahrelange Bombardement auf Vietnam eine antikommunistische Maurer errichtet werden sollte. So erinnere ich mich an meinen japanischen Freund, der in den 70er Jahren in Berlin neben mir vor der Mauer stand und sagte: “Verglichen mit dem Bollwerk aus Menschen ist diese Mauer aus Beton noch human.”