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「日本はもう一度戦争してくれ」

ブザーが鳴ったので玄関を開けると、DHLの運送車がとまっている。また誰かがネットで買い物をしたのだ。荷物を受け取りながら、漢字でサインした。それを見たDHLのトラック運転手兼配達人は「日本人か」と訊く。そうだと肯定すると、彼は少し嬉しそうな顔して、自分はシリア人だといった。確かに色が浅黒く、ドイツ人には見えない。「日本はまた米国と戦争してくれ。米国こそ私たちの国を破壊したのだ」と彼はいう。私はたまげて、「日本は戦争に負けたし、核兵器もないし、(少し笑いながら)もうそんな元気などない」というと、彼は「核兵器もミサイルもいくらでもつくることができるはずだ」という。私は苦笑しながら、「問題は戦争で解決できない」とか賢そうなことをいうだけで、そのうちに彼は次の配達先へ向かった。

ドイツ、また西欧社会では米国のすることを、このシリア人のように考えている人は少ない。でも私は1999年のコソボ戦争以来、「アラブの春」とか「XX革命」とかいって演出された民主化運動から始まって内乱になるレジームチェンジの背後には米国がいると思っている。未来に希望のないアラブのたくさんの若者たちに武器を渡し、組織している人々がいるはずである。また米のドローン攻撃を遠隔操作している米軍基地はドイツにあるので、このようなバックグラウンドを考えると2015年の「難民歓迎文化」もとんでもない話であることがわかる。

 

 

 

 

Hiroshima liegt auf dem Mars

Aus: Süddeutsche Zeitung, Feuilleton 22.10.99

南ドイツ新聞文芸欄、1999年10月22日、17頁

 

Hiroshima liegt auf dem Mars

Warum ist das japanische Volk so auf die Kernenergie fixiert?

Die Japaner tanzen auf einem Vulkan. Immer munter, immer weiter. Dieser Eindruck stellt sich ein, wenn man nach der Beinahe-Katastrophe in Tokai-Mura hören muss, dass die japanische Regierung an ihrem Atomprogramm festhalten will. So werden zusätzlich zu den vorhandenen 51 Atommeilern noch 20 gebaut werden. Ausserdem wird auch an der Brütertechnik herumgewurstelt, um “die vom Rest der Welt zu Unrecht im Stich gelassene Technologie zum Wohle der Menschheit in das kommende Jahrtausend hinüber zu retten”. Man muss sich wundern, wie ausgerechnet das Volk, das den Abwurf von zwei Atombomben erfahren hat, mit so vielen Atomkraftwerken leben kann? Tatsächlich stellt sich Japanern die Frage nach den Gefahren der Kernenergie nur selten, weil sie nie auf die Idee kämen, Atomkraftwerke mit Atombomben in Verbindung zu bringen. Hier liegt offensichtlich eine Denkblockade vor, sich die Dimensionen eines nuklearen Unfalls auszumalen, weswegen die meisten Japaner ein atomarer GAU so wenig schreckt, wie die Störung in einer Müllverbrennungsanlage.

Denkblockade

Liest man in japanischen Zeitungen über die Beinahe-Katastrophe in Tokai-Mura, fällt auf, dass jeder Hinweis auf Hiroshima und Nagasaki vermieden wird. Statt dessen findet man den Ausdruck “Kritikalitätsunfall”. Leser ohne physikalische Fachkenntnisse werden ihn nicht verstehen. Dabei hätte die unkontrollierte, von bläulichem Licht illuminierte Kernspaltung innerhalb des Reaktors durchaus Folgen haben können, die den Schäden nach einem Atombomben-Abwurf vergleichbar sind: Strahlentod, eine kontaminierte Erdoberfläche, Leukämie usw. Die verharmlosende Darstellung in den Medien ist Ausdruck jener Denkblockade, weshalb man sich des Eindrucks nicht erwehren kann, dass für Japan Hiroshima auf dem Mars liegt.

Die Bilder, die die japanische Erinnerungskultur über Hiroshima aufbewahrt hat, haben im Bewußtsein der Japaner nichts mit den modernen Atomkraftwerken zu tun. Diese Bilder, die Angst und Furcht einflößen, zeigen Menschen mit herabtropfenden Hautfetzen oder Opfer mit “Kelojd” genannten Entstellungen. Sie zielten ausdrücklich darauf, “die Hölle auf Erden” darzustellen. Denn Hiroshima soll nach der Logik dieser Erinnerungskultur eben wegen der dort stattgefundenen “Hölle” seine “Friedenskraft” in die ganze Welt ausstrahlen. So glaubten in der kältesten Zeit des kalten Krieges viele Japaner daran, dass die Politiker der Großmächte, allen voran die amerikanischen, mit gereinigtem Herz und voller Reue ihre Atombomben abschaffen würden, wenn sie Hiroshima betreten hätten. Verdankt man es also dieser heiligen “Friedenskraft”, dass Hiroshima jetzt auf dem Mars gelandet ist?

Nachdem Japan 1951 seine Souveränität wieder gewonnen hatte, erschienen zahlreiche Bücher zu dem von der amerikanischen Besatzungsmacht geächteten Thema Atombombenopfer. Im Vorwort eines damaligen Bestsellers, “Kinder in Hiroshima”, schreibt der Herausgeber: “Ich glaube nicht, dass das Sterben von 247 000 Menschen nur die Explosion eines launischen Knallers war. Ich bin fest davon überzeugt, dass es uns mit Hilfe unserer moralischen Kraft gelingen wird, nur die guten Eigenschaften der Atomkraft zur Geltung zu bringen, indem wir den Weg zur friedlichen Nutzung der Atomenergie beschreiten.”

Nicht nur diese Stelle, sondern auch viele Diskurse über Hiroshima belegen, dass diese Erinnerungskultur eigentlich eine Variante des japanischen Totenkults ist, bei dem es sich um die nachträgliche Sinnstiftung des sonst sinnlosen Atomtodes (= “Explosion eines launischen Knallers”) handelt. Für unseren energiepolitischen Kontext ist es daher wichtig festzuhalten, dass man es in Japan jetzt nicht mit gewöhnlichen alten “Kerntechnikfreaks” zu tun hat, die es in allen Industriestaaten gibt, sondern mit einer breiten Befürworter-Generation, die in ihren jungen Jahren mit dieser Sinngebung des sinnlosen Atomtodes zu tun hatte.

Doch gibt es in den für die Energiepolitik zuständigen Ministerien in Tokio auch Beamte, die der offiziellen Atompolitik skeptisch gegenüber stehen. Vor allem junge Japaner glauben nicht mehr an die Zukunft des Atomstroms. Im Bereich Kernforschung spricht man schon von Nachwuchsmangel. Auch in den Medien melden sich kritische Stimmen. Es gibt Bürgerbewegungen, die sich gegen den Bau neuer Atomkraftwerke wehren. Selbst in der Elektrizitätsbranche wird hinter vorgehaltener Hand über horrende Liefer-Preise von Brennelementen gewitzelt, die eines Tages von der japanischen Wiederaufarbeitungsanlage kommen sollen.

Warum bewegt sich dann nichts? Tatsächlich gibt es noch eine weitere Denkblockade, die sich um das nationale Selbstverständnis herum etabliert hat. Diese Blockade betrifft einen energiepolitischen Gesichtspunkt, der in Deutschland verschwunden zu sein scheint. Dabei handelt es sich um den in Japan “Energy Security” genannten Komplex, mit dem eine gute Energiepolitik eine stabile Energieversorgung gewährleisten soll.

Inselmentalität

Die Importquote auf dem Energiesektor ist in Japan sehr hoch. Das erweckt den Eindruck, dass die Energieversorgung “auf wackligen Füßen steht”. Aber ist nicht gerade der reale Boden sehr “wackelig”, auf dem viele Atomkraftwerke stehen, da das ganze Inselreich Erdbeben gefährdet ist? Es kann sein, dass viele Herkunftsländer, von denen Japan Erdöl bezieht, auf politisch instabilen Gebieten liegen. Doch wie wahrscheinlich ist es, dass in allen Öl-Herkunftsländern Kriege ausbrechen und Japan “keinen Tropfen Öl” mehrt bekommt? Dewnnoch denken viele Japaner eben dies; für sie liegt Japan gewissermassen außerhalb der vorhanden Staatenwelt. Das hat mit “Inselmentalität” zu tun, die von den Japanern selbst gerne kritisiert, aber gleichzeitig auch als Beleg dafür gilt, dass es nicht anders geht.

Wenn das Argument: Sicherung der Energieversorgung in einer Diskussion aufkommt, erscheinen AKW-Gegner darum in den Augen der Öffentlichkeit schnell als Utopisten, die Japan als Industrienation in den Ruin treiben wollen. Wo kommt das her? Wenn es um die Selbst-Definition eines Volkes als Industrienation geht, verhalten sich die Deutschen nicht sehr viel anders. Warum aber hat das Abhängigkeits-Argument in Japan eine so starke Durchsetzungskraft? Hat das mit Emotionen (Ängsten, Sehnsüchten usw.) zu tun, die im kollektiven Gedächtnis dieses Volkes gespeichert sind? Die japanische Angst, in totale Öl-Abhängigkeit zu geraten, erscheint ja auch deswegen so absurd, weil die Importabhängigkeit bei Nahrungsmitteln genau so hoch ist. Diese kümmert aber nur wenige.

Eine Erklärung dieser Diskrepanz liefert die erste Ölkrise von 1973/74. Von vielen Japanern wird es so dargestellt, als habe man diese Krise, gerade weil man ihre Bedeutung erkannt und entsprechend reagiert habe, als Sprungbrett für den späteren wirtschaftlichen Erfolg nutzen können. Tatsächlich fürchteten viele Japaner damals, kein Erdöl mehr zu bekommen und so ihren bescheidenen Wohlstand zu verlieren. Ihre teils übertriebene Angst, ja Panik läßt sich damit erklären, dass sich die Japaner 1973/74 an das 1941 von den USA über ihr Land verhängte Wirtschaftsembargo erinnerten. Dass der Ölhahn damals von den Amerikanern zugedreht wurde, sei nach einem in Japan gängigen Geschichtsverständnis der Anfang vom Ende gewesen. Aus Angst davor, dass sich seine Ölreserven bald erschöpfen könnten, habe Japan, wie “die von der Katze bedrohte Maus” mit dem Angriff auf Pearl Harbor geantwortet, der dann allerdings tatsächlich in die nationale Katastrophe einmündete. So gesehen ist die nun imaginierte Drosselung der Erdöllieferungen mit negativen Erfahrungen verbunden, die sich hartnäckig im kollektiven Gedächtnis halten und eine reflexartige Angst auslösen. Dabei gerät das zu den jeweiligen Zeitpunkten (1941, 1973/74 und jetzt) völlig unterschiedliche, internationale Umfeld Japans völlig aus dem Gesichtsfeld. Dass die Erzählung von der erfolgreichen Überwindung der Ölkrise 1973/74 diese nationale Angststruktur eher befestigte, zeigt sich auch daran, dass der Aspekt der Sicherung der Energieversorgung bei jeder atompolitischen Diskussion wie eine Trumpfkarte ausgespielt wird. Das japanische Atomprogramm ist ein Werk tüchtiger Elitebeamter. Es ist im Geist einer Vätergeneration geschrieben worden, die von einem autark funktionierenden, asiatischen Wirtschaftsblock träumte. Doch der damalige großasiatische Lebensraum ist jetzt auf eine “Aladin’s Wunder-Lampe” genannte Brütertechnik zusammengeschrumpft.

TAN MINOGUCHI

Entbräunungsserenade

南ドイツ新聞学芸欄 1999年7月12日、14頁

 

Süddeutsche Zeitung FEUILLETON Montag, 12. Juli 1999, S. 14

 

Entbräunungs-Serenade            

 Ein deutsches Modell für die Vergangenheitsbewältigung in Japan?

In diesem Land wird man nur mit Mühe nachvollziehen, was sich im comicsüchtigen Japan derzeit abspielt. Nicht die Rede eines Dichters, sondern ein Comic löste dort hitzige Diskussionen über die eigene Vergangenheit aus. Yosinori Kobayashis “Senso-ron” (“Abhandlungen über den Krieg”), ein Comic, der sich auf 380 Seiten mit dem Zweiten Weltkrieg in japanischer Sicht befaßt, wurde zum Bestseller. Kobayashi handelt alle einschlägigen Aspekte ab, von den Greueltaten japanischer Soldaten bis zur Kriegsschuldfrage, und gibt sich dabei unverblümt nationalistisch. Die zur Prostitution gezwungene “Trostfrauen” etwa seien durchweg Professionelle gewesen. Mit Hinweisen auf solche, im Einzelfall tatsächlich belegte Fälle, glaubt er, allgemein die Ehre der japanischen Nation retten zu können. Das gleiche Auslassungsprinzip wird freilich auch von Kobayashis Gegnern praktiziert.

Sein Fazit: Japan kann nicht nur seine Vergangenheit, sondern alle Probleme der Gegenwart, einschließlich der Bankenkrise, bewältigen, wenn sich nur alle Japaner so zur Nation bekennen würden, wie dies einst die Kamikaze-Flieger getan hätten, die ihr Leben für das Vaterland opferten.

Man spricht deutsch

Als man in den achtziger Jahren in Japan ernsthaft die japanische Vergangenheit zu diskutieren begann, nahm man sich deutsche Diskussionen zum Vorbild – vielen japanischen Intellektuellen galt Deutschland gewissermaßen als “Vergangenheitsbewältigungsmeister”. So wurde denn die Rede von Bundespräsident Richard von Weizsäcker zum 40. Jahrestag des Kriegsendes in Japan mit großer Begeisterung aufgenommen. In vielen Kreisen studierte man sie beinahe so fleißig wie anderswo die Bibel. Diese Bereitschaft zur kritischen Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit wurde auch von Politikern unterstützt, die ihr Land aus der Isolation in Asien herausführen wollten.

Dennoch ist die Bilanz eher traurig – sehr weit ist die japanische Vergangenheitsbewältigung nicht vorangekommen – und die Richtung weist heute eher rückwärts. Es sieht leider so aus, als ob die Zahl der “Ewiggestrigen” in Japan eher zu- als abgenommen habe. Warum aber gelingt es den Japanern nicht, ihre Vergangenheit nach deutschem Beispiel zu bewältigen?

Die Antwort ist simpel. Das “deutsche Modell” ist nicht so einfach zu kopieren wie zum Beispiel der Umgang mit klassischer Musik. Dennoch kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, daß japanischen Befürwortern des “deutschen Modells” sich die deutsche Vergangenheitsbewältigung als eine für die “Entbräunung” der Japaner dienliche Musik darstellt.

Es klingt absurd, aber es entspricht ganz der Realität: Japaner (Journalisten, Zeithistoriker usw.) suchen in Deutschland nach der japanischen Vergangenheit. Wenn es etwa heißt, die Deutschen fahndeten nach “Kriegsverbrechern”, dann haben japanische Leser den Eindruck, das deutsche Volk setze das Nürnberger Militärtribunal der Alliierten in eigener Regie fünfzig Jahre später immer noch fort. Und im Lichte dieses Mißverständnisses sehen die Menschen in Japan – das seine an Kriegsverbrechen beteiligten Soldaten einfach laufen ließ – auch ihre Vergangenheit in Deutschland “bewältigt”. Handelt es sich dabei also um eine beispielhafte ethnozentrische Unfähigkeit, ein fremdes System zu verstehen?

Was machen umgekehrt Deutsche in Japan? Unterwegs auf ihrer Suche nach unbewältigter Vergangenheit in der japanischen Gesellschaft stoßen sie immer wieder auf “braune Japaner” oder auf “Nanking-Leugner” – viele Menschen, von denen die japanischen Kriegsgreuel in China schlichtweg abgestritten werden; Anhänger der “Auschwitz-Lüge” sind in Japan dagegen eher Ausnahmen. Ist aber mit dem, was sie in Japan als “unbewältigte Vergangenheit” erkennen, wirklich die japanische Vergangenheit gemeint oder verwechseln sie diese mit der deutschen?

Häufig wird hier übersehen, daß beide Staaten völlig unterschiedliche internationale Umfelder haben. Wie würden die asiatischen Nachbarvölker, die keine postnationalen Staaten sind, reagieren, wenn zum Beispiel ein japanischer Politiker sagen würde, der Tag der japanischen Kapitulation – der 15. August 1945 – sei ein Tag der Befreiung gewesen? Wahrscheinlich würden die Nachbarvölker ihn auslachen oder heftig protestieren, und die Japaner selbst würden ohne Ausnahme den Kopf schütteln.

Im kollektiven Gedächtnis der Deutschen bezieht sich der Begriff der jüngeren Vergangenheit wesentlich auf das “Dritte Reich”, vor allem auf den Holocaust, die Ermordung der europäischen Juden. Die japanische Vergangenheit hingegen ist eindeutig der 1945 zu Ende gegangene Krieg. Mit dieser Vergangenheit, das heißt, mit dem verlorenen Krieg schlägt sich die Gesellschaft noch heute herum. Und sie ist tatsächlich unbewältigt in dem Sinne, daß sie unreflektiert geblieben ist.

Für die Pazifisten, die nun Anhänger der deutschen Vergangenheitsbewältigung geworden sind, gilt der Krieg als das absolut Böse. Bisweilen kann man sich des Eindrucks freilich nicht erwehren, sie machten damit auch dem Weltpolizisten, der ihr Land besiegte, nachträglich moralische Vorwürfe: indem sie schlichtweg alle Kriege für böse erklären. Eine solche Deutung würde den in der Tat entlastenden Schluß nahelegen, daß ausnahmslos alle Völker böse sind.

Während des Kalten Krieges wurde von der pazifistisch gesinnten Opposition ein außenpolitisches Konzept vertreten, das eine Lähmung der parlamentarischen Demokratie in Japan herbeiführte – das Konzept der unbewaffneten Neutralität: Demnach sei der Weltfrieden dadurch zu sichern, daß nicht nur Japan, sondern alle Staaten, die USA voran, umfassend abrüsteten. Der Weltfrieden war ja in der Tat eingetreten, als Japan, das gegen den Rest der Welt Krieg geführt hatte, am 15. August 1945 kapitulierte. Sprach sich also in diesem pazifistischen Konzept das Wunschdenken aus, die USA könnten die ganze Welt befrieden, wenn sich dieser Kapitulationsakt allüberall wiederholte? Dann wäre dieser Pazifismus nichts anderes als eine imaginäre Fortsetzung des verlorenen Krieges ohne Waffen.

Man sieht, auch Pazifisten können verkappte Nationalisten sein. Außerdem wird deutlich, wie dehnbar der japanische Vergangenheitsbegriff ist. Man kann sich auch des Eindrucks nicht erwehren, als führte das Volk einen imaginären Krieg in der Vergangenheit wie in der Vorvergangenheit, in Gegenwart und Zukunft. So heißen zum Beispiel im Ausland tätige japanische Geschäftsleute “Unternehmenssoldaten”. Stagniert wegen der Bankenkrise das Wirtschaftswachstum, dann ist das “die zweite Kapitulation”. Auch sind viele Japaner davon überzeugt, daß der Zweite Weltkrieg bereits in der Mitte des 19. Jahrhunderts begonnen habe, als die europäischen Imperialisten in Asien erschienen.

Innere Kapitulation

Die Vergangenheit bestimmt also weiter die Gegenwart ? als wäre sie der Büchse einer japanischen Pandora entwichen, und man versteht, warum in Japan der Umgang mit der Vergangenheit, wie man ihn in Deutschland pflegt, so positiv bewertet wird. Dabei wird jedoch gern übersehen, daß dieses bewunderte System der deutschen Vergangenheitsbewältigung vor allem auf zwei Prinzipien basiert, die der japanischen Kultur und Gesellschaft unbekannt sind und die für eine Stabilität des nationalen Selbstbewußtseins in Deutschland sorgen.

Das erste Prinzip ist das der Individualisierung von Schuld und Verantwortung, das die Kollektivschuldthese, die das deutsche Volk in eine Art Pauschalhaftung nahm, erfolgreich relativierte. Dieses Prinzip verdankt sich vor allem zwei Elementen, die es in Japan nicht gibt: Das eine war der völlige Zusammenbruch der staatlichen Struktur des Deutschen Reichs, das Erlebnis eines finis Germaniae, das in der inneren Kapitulation der einzelnen Individuen seine Entsprechung fand. Das zweite Moment war eine in Deutschland noch bestehende religiöse Prägung der Gesellschaft, die eine individuelle Zuordnung von Schuld und Verantwortung ermöglichte.

Das zweite, in Japan unbekannte Prinzip war eine strikte Trennung zwischen dem “sauberen” Krieg und den Verbrechen der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft. Diese -nicht zuletzt durch die “Wehrmachtsausstellung” – nachdrücklich in Frage gestellte Unterscheidung fand lange Zeit ihren Niederschlag in Politikerreden, in denen das Bild des “tapferen Frontsoldaten”, der sich für das Wohl der Heimat opferte, mit dem der Nazi-Verbrecher konfrontiert wurde, die hinter der Front sengten und mordeten. Diese “saubere” Trennung, die zunächst in den Biographien der Frontsoldaten für Sinnstiftung sorgte, wurde zum Prinzip gehärtet, als Deutschland im Kalten Krieg in das atlantische Verteidigungsbündnis eingegliedert wurde.

Beide Prinzipien sollten dazu beitragen, Verantwortung und Schuld für die Vergangenheit individuell zu begrenzen und so zu verhindern, daß die Vergangenheit zu einer nationalen Angelegenheit wurde. Diese Voraussetzungen waren in Japan jedoch nicht gegeben, denn der totale Krieg, auf den sich der japanische Vergangenheitsbegriff konzentriert, ist im kollektiven Gedächtnis des Landes eine ganz und gar nationale Sache.

Durch die Betonung der “Erinnerung” ist man in Deutschland jetzt bestrebt, die Geltung dieser Prinzipien langsam abzuschwächen. Daß dies möglich ist, spricht für eine hohe Flexibilität des deutschen Systems der Vergangenheitsbewältigung, das sich dem Generationswechsel ebenso geschmeidig anpaßt wie den seit Ende des Kalten Kriegs grundlegend veränderten außenpolitischen Anforderungen, bei denen insbesondere die Belange der Menschenrechte eine immer größere Rolle spielen. Der Umgang der Deutschen mit ihrer Vergangenheit stellt sich so als ein kulturell bedingtes und historisch gewachsenes System dar, das nicht mit der Partitur einer “Entbräunungsserenade” verwechselt werden darf, die japanische Musikanten einfach nachspielen könnten.

TAN MINOGUCHI

SIND DIE JUNGEN MÄNNER, die in dieser verzweifelten Situation auf den Tod gefaßt waren, wahnsinnig gewesen, wie es uns später gesagt worden ist? – Im Comic Senso-ron von Yosinori Kobayashi ist das die Frage.

Abb.: Verlag

Feuilleton 12.07.1999

 

 

 

Die Handschrift des großen Bruders 

Die Handschrift des großen Bruders  Warum Asien den Kosovo-Krieg ganz anders interpretiert
Aus: Süddeutsche Zeitung(Feuilleton) 18.05.99, S. 17 (1999年5月18日南ドイツ新聞学芸欄)

18.05.99
Feuilleton

Die Handschrift des großen Bruders

Warum Asien den Kosovo-Krieg ganz anders interpretiert / Von Tan Minoguchi

Die Nato-Staaten führen einen “postnationalen Krieg”, eine “Fortsetzung der Moral mit anderen Mitteln” (Ulrich Beck). Bevor ein Krieg so patentiert wird, stellt sich die Frage, ob er wirklich so neu ist. Denn viele Menschen, in Asien und anderswo, nehmen eine deutliche amerikanische Handschrift des Bombardements wahr und schütteln den Kopf. Meint man mit “neuartig”, daß die EU-Staaten aus Überzeugung einen amerikanischen Krieg mitmachen, dann ist das tatsächlich etwas Neues. Eine amerikanische Limousine, in der hinter dem amerikanischen Fahrer Europäer sitzen, ist noch kein europäisches Auto.

Der postnationale Krieg, der mit dem Nato-Luftangriff begonnen hat, ist ein amerikanischer Krieg, nicht, weil die US-Soldaten die erste Geige spielen, sondern wegen des Weltbilds, das ihm zugrunde liegt. Die Interventionskriege, die die Amerikaner im 20. Jahrhundert geführt haben, waren immer moralisierende und moralisierte Kriege. So gesehen war ein amerikanischer Krieg immer eine Fortsetzung der Moral mit anderen Mitteln. Der Typus des amerikanischen Kriegs begann, als Präsident Wilson 1917 in den Ersten Weltkrieg gegen Deutschland eingriff, mit der Begründung: “Der gegenwärtige deutsche U-Boot-Krieg gegen Welthandel ist ein Krieg gegen die Menschheit.” Dieses Muster hat sich kurz vor der Jahrtausendwende wiederholt, da sich auch die Nato-Staaten auf einen höheren Begriff, auf Europa nämlich, berufen, um ihren Verzicht auf den vermittelnden neutralen Status und ihren humanitären Eingriff zu rechtfertigen.

Wenn die “Menschheit” auf die Kriegsfahne geschrieben wird, wandelt sich die Erdkugel in einen Weltstaat, in dem nationale Staatenkriege keinen Platz mehr haben, denn Frieden bedeutet nach dieser Logik des amerikanischen Krieges einen Zustand, in dem kein Unrecht begangen wird. Folglich ist der Interventionskrieg kein Krieg mehr, sondern ein Versuch, das Recht durchzusetzen und die Ordnung wieder herzustellen, eine polizeiliche Aktion.

Deshalb ist ein Pazifismus, der auf der klassischen Dichotomie Krieg vs. Frieden beruht, in Not geraten, indem aus einem Krieg die internationale Bekämpfung einer staatlich organisierten Kriminalität geworden ist. Die Nato-Staaten führen keinen Krieg. Die jugoslawische Republik hingegen führt einen Krieg. Dieses merkwürdige asymmetrische Verhältnis zwischen militärisch streitenden Parteien ist in der Struktur dieser kriminalistischen Kriegsanschauung angelegt. Auf dieses asymmetrische Verhältnis zwischen streitenden Parteien lassen sich die Diskussionen über den Kriegsbegriff zurückführen.

Asoziales Verhalten

Daß die Diplomatie ein ähnliches Schicksal wie das Wort “Krieg” nimmt, versteht sich. Die Polizei läßt sich auf keine Verhandlung mit einem Kriminellen ein, sondern verlangt von ihm, keinen unnötigen Widerstand zu leisten. Deswegen ist eine diplomatische Kriegsbeendigung erschwert, nicht nur, weil eine völlige Unterwerfung angestrebt wird, sondern auch, weil dem kriminalistischen Konstrukt des Krieges entsprechend ein Resozialisierungsprogramm (Besetzung des Landes und Umerziehung) gefordert wird wie neulich von Daniel Goldhagen. In dem Weltbild, das dem amerikanischen Krieg zugrunde liegt, hat der Gedanke der Neutralität keine Existenzberechtigung. Nach der Logik des Weltpolizisten bedeutet die Neutralität ein asoziales Verhalten, weil alle anderen Staaten bei einer Verbrechensbekämpfung mitmachen, während der neutrale Staat nichts tut. Was für einen Krieg führen dann die Amerikaner? Sie führen einen postnationalen Krieg, bekämpfen also internationale Kriminalität. Gleichzeitig führen sie einen normalen Staatenkrieg. Nach europäischem Verständnis hat man mit dem Bombardement auf Jugoslawien angefangen, um bei einer Verhandlung seiner Forderung Gewicht zu verleihen, so, als haute man auf den Tisch. Nun sitzen Europäer in einem amerikanischen Taxi und stellen fest, daß der Fahrer gar nicht ihre Sprache versteht.

Für viele Asiaten hat es leider Tradition, reflexartig alles zu kritisieren, was die Amerikaner (beziehungsweise der Westen) tun. Trotzdem kann ich ihre Kritik am Nato-Bombardement speziell und an der Balkan-Politik des Westens generell nicht ignorieren. Der Westen hat bisher nur Sezessionisten unterstützt und eine historisch gewachsene staatliche Struktur geschwächt oder zerstört. Das wiederholt sich wahrscheinlich ein weiteres Mal. Der Traum von einem multikulturellen Kosovo rückt in immer weitere Ferne. Das Ergebnis ist bedrohlich, weil immer mehr Staaten entstehen. Manche befürchten sogar, daß das Bombardement zum Fanal für weltweite Sezessionsbewegungen wird.

Es ist keine beneidenswerte Aufgabe, zwischen extrem national denkenden Streitparteien wie denen auf dem Balkan zu vermitteln. Dabei könnte es für postnationale EU-Staaten nützlicher sein, sich in die Lage national oder nationalistisch denkender Menschen zu versetzen, als nach dem postnationalen Prinzip einer internationalen Verbrechensbekämpfung vorzugehen. Warum hätte der Westen die zwei Rollen nicht spielen können: als Wahrer der staatlichen Struktur und als Schützer der Menschenrechte? Warum hätte man fast bis zum Ende nicht neutral bleiben können, statt für eine schwächere ethnische Gruppe Partei zu ergreifen? Wahrscheinlich aus dem einfachen Grund, daß eine stärkere Gruppe mehr verbricht als eine schwächere. (Als Vater zweier Kinder gehe ich, wenn meine Kinder miteinander streiten und ich keine Zeit habe, so vor: Ich schimpfe den älteren Sohn.)

Der Balkan-Code

Hier hat sich eine moralisierende, emotionalisierende Tendenz im politischen Denken zuerst langsam, dann mit beschleunigtem Tempo durchgesetzt. Sie mündet in die Logik des Weltpolizisten, die aus einem Krieg eine internationale Verbrechensbekämpfung macht. Im postmodernen Europa hat man, wenn auf dem Balkan Blut fließt, nur noch einige Begriffe zur Verfügung: “ethnische Säuberung”, “Völkermord” und so weiter, die sich unter dem Oberbegriff “Verbrechen” subsumieren lassen. Reicht dieser begrenzte Wortschatz aus, um die Realität wahrzunehmen?

In den Augen der Menschen, für die verschiedene Kriege etwas bedeuten, herrschte und herrscht im Kosovo ein Sezessionskrieg, der ein Guerillakrieg war und ist. Das waren grausame Übergriffe auf Zivilisten und Flucht dieser Zivilisten vor Übergriffen. Das Massaker in Racak im vergangenen Januar war zwar ein trauriges Ereignis, ist aber im Rahmen solcher Guerillakriege noch verstehbar, weil diesem Fall und anderen ähnlichen immer heftige Guerilla-Kämpfe vorausgegangen waren. Kann man ein Ereignis einfach aus seinem Umfeld herausreißen, als passierte es in einer westeuropäischen Großstadt? Meines Wissens sträubt sich die europäische, der Vielfalt verpflichtete Denktradition gegen solche Simplifizierungen.

Vielleicht kann man mit Umberto Eco von einem Wahrnehmungscode sprechen. Häufig kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, daß sich im Bewußtsein vieler Menschen ein merkwürdiger Balkan-Code etabliert hat, nach dem alle Informationen so selektiert, verdrängt und verarbeitet werden, daß am Ende nur noch die zwei Zustände unterschieden werden: Auf dem Balkan wird etwas verbrochen oder nicht verbrochen. Wenn wir einen solchen Balkan-Wahrnehmungscode unterstellen, wird es verständlich, warum Politiker Photos zeigen, in denen tote albanische Dorfbewohner neben toten UCK-Soldaten liegen; dies in dem festen Glauben, bewiesen zu haben, daß der Völkermord von den Serben lange vor dem Luftangriff kaltblütig praktiziert worden sei. Solche Photos zeigen aber nur, daß es sich um normale Szenen aus einem Guerillakrieg handelt. Nach dem Balkan-Code wird der im letzten Herbst erzielte Waffenstillstand als ein Zustand entziffert, in dem nur weniger Verbrechen begangen wurden. Daraus folgt, daß dieser Zustand als nicht erhaltenswert betrachtet wird.

Für diejenigen, die diesen Balkan-Wahrnehmungscode nicht verinnerlicht haben, sieht die Bewertung desselben Zustandes im Kosovo anders aus. Der Waffenstillstand war zwar brüchig, weil Guerilla-Kämpfe stattfanden, die häufig von UCK-Freischärlern ausgelöst wurden und mit einem Vergeltungsschlag der Serben endeten. Aber die Kämpfe waren sporadisch. Manchmal war in den Agenturen von einer Rückkehr der damaligen Flüchtlinge in ihre Heimatdörfer die Rede. So antwortete auf die Frage eines japanischen Journalisten, ob die Massenvertreibung der Kosovo-Albaner durch das Bombardement ausgelöst oder von der jugoslawischen Seite lange geplant worden sei, die UNHCR-Hochkommissarin Sadko Ogata: “Ich glaube, daß eher der Rückzug der OSZE-Beobachter als das Bombardement ein großer Wirkungsfaktor war”. Aus dieser diplomatischen Antwort läßt sich folgern, daß diese unbewaffneten Beobachter zur Beruhigung der Lage ihren bescheidenen Beitrag geleistet haben. Dafür sprechen auch frühere Aussagen seitens der OSZE. Wer den Balkan-Code nicht teilt, für den war der Zustand im Kosovo vor dem Nato-Luftangriff verbesserungsbedürftig, ein bescheidenes, aber positives Ergebnis.

Aus dieser Sicht liegt die Entscheidung, mitten in Europa einen amerikanischen Krieg zu beginnen, statt aus diesem kleinen Erfolg etwas zu machen, jenseits jeglicher Rationalität. Der Nato-Luftangriff war in den Augen der national denkenden Serben die einseitige Parteinahme für die Kosovarer, die sie immer verdächtigt und gefürchtet haben. Das schürt ihren Haß gegen die Albaner. Deshalb führen sie ihren totalen Krieg gegen die Albaner und die Nato, die nach ihrer Meinung Verbündete sind. Es ist wirklich nicht nachvollziehbar, daß der Westen ausgerechnet zusammen mit “falschen Helden” (Rugova über die UCK) den selbst mühsam verhandelten Waffenstillstand gebrochen hat. Auf diese Weise schwächt man schon wieder eine staatliche Struktur (die Jugoslawiens) und wendet sich von dem selbst gesetzten Ziel (einem multinationalen Kosovo) ab.

Eine Erinnerung wird geweckt

Ist diese Kritik antiwestlich? Meiner Meinung nach geht es darum, ob man den Balkan-Code besitzt oder nicht. Dann stellt sich die Frage, was für einen Code Asiaten überhaupt haben, durch den die Realität auf dem Balkan wahrgenommen wird. Es fällt mir, offen gestanden, nicht leicht, darauf eine Antwort zu geben. Soweit ich sehe, steht in der japanischen Berichterstattung das Schicksal apolitischer kleiner Leute im Mittelpunkt. Ihre kleinen Leute sind Kosovo-Albaner, die zwar mit der politischen Unterdrückung nicht einverstanden waren, aber Angst hatten, bis zum Beginn des Luftangriffs in den Guerilla-Krieg verwickelt zu werden, und dann tatsächlich in einen Krieg neuer Qualität verwickelt worden sind. Von diesem Standpunkt aus ist der humanitäre Eingriff der Nato nicht nur “eine Verlogenheit, sondern grenzt auch an Fahrlässigkeit” (so schrieb mir ein japanischer Philosoph).

In diesem Punkt reißt bestimmt bei vielen Asiaten die alte Wunde auf. Dann erwacht ihre Erinnerung an die amerikanische Theorie, nach der asiatische Völker sogenannte Domino-Steine sind, aus denen durch das jahrelange Bombardement auf Vietnam eine antikommunistische Maurer errichtet werden sollte. So erinnere ich mich an meinen japanischen Freund, der in den 70er Jahren in Berlin neben mir vor der Mauer stand und sagte: “Verglichen mit dem Bollwerk aus Menschen ist diese Mauer aus Beton noch human.”